Jacza von Köpe­nick und die Schild­horn-Legende

Die Schild­horn-Legende berich­tet vom Slawen­für­sten Jacza von Köpe­nick, der 1157 vor Albrecht dem Bären floh und mit seinem Pferd südlich von Span­dau über die Havel nach Schild­horn über­setz­ten wollte. Als er zu ertrin­ken drohte, rief er den Chri­sten­gott an und versprach, im Falle seiner Rettung zum Chri­sten­tum zu konver­tie­ren. Er erreichte das Ufer einer weit in die Havel ragen­den Land­zunge, einem Os, dank­bar entwaff­nete er sich, hängte Schild und Horn an einen Baum und bekannte sich zum Chri­sten­tum. Die Land­zunge wird seit­her Schild­horn genannt.

An dieser Legende ist nichts wahr, an ihr wurde auch erst seit dem 19. Jahr­hun­dert gestrickt. Sie geht auf Volks­sa­gen zurück, wohin­ge­gen der Name Schild­horn bereits 1590 erwähnt wird. In den frühe­ren Versio­nen der Legende ging es nicht um Jacza und auch nicht um eine Bekeh­rung. Dort sei einmal der Große Kurfürst und ein ander­mal Fried­rich der Große geret­tet worden. Der Name der Halb­in­sel geht auf den slawi­schen Namen der benach­bar­ten Gewäs­ser­flur Styte zurück, der bis 1935 (die Natio­nal­so­zia­li­sten änder­ten wie viele andere auch diesen slawisch erschei­nen­den Namen) beibe­hal­ten wurde, und auf das mittel­hoch­deut­sche Horn, das für Land­zunge steht.

Darstellung seiner Flucht
Jacza von Köpe­nick auf der Flucht durch die Havel. Holz­schnitt von O. Vogel nach einer Zeich­nung von Adolph Menzel, 1868.

Es gibt seit dem 19. Jh. viele künst­le­ri­sche Darstel­lun­gen dieser Legende. Fried­rich Wilhelm IV zeich­nete einen Denk­mals­ent­wurf, der dann von Fried­rich August Stüh­ler reali­siert wurde. Fontane schil­dert ihn in seinen Wande­run­gen durch die Mark Bran­den­burg:

Jacza von Köpenick
Schild­horn­le­gende, verges­se­nes Denk­mal auf der Span­dauer Seite.

„Die Land­zunge trägt an ihrer vorder­sten Spitze ein grau­schwar­zes, wunder­li­ches Bild­werk, das halb an Tele­gra­phen­pfo­sten, halb an Fabrik­schorn­steine mahnt. Es wäre ausrei­chend gewe­sen, auf hoher grie­chi­scher Säule einen Schild aufzu­rich­ten und diesen Schild mit einem Kreuz von mäßiger Größe zu krönen. Das würde «den Sieg des Kreu­zes über das Heiden­tum» in aller Klar­heit darge­stellt haben. Archäologischer Übereifer hat seinen Sieg auf Kosten des guten Geschmacks gefei­ert. Man hat den Stamm einer alten knor­ri­gen Eiche in Sand­stein nach­ge­bil­det und dadurch eine ohne­hin schwer verständliche Figur geschaf­fen; der inmit­ten des Stam­mes aufgehängte Schild, der wie eine Scheibe an einem Pfosten klebt.“

Jacza von Köpenick
Schild­horn­le­gende, Denk­mal auf Schild­horn.

Worum geht es eigent­lich?

Jacza von Köpe­nick war ein slawi­scher Fürst, er ist iden­tisch mit dem polni­schen Fürsten Jaksa von Miechów und wurde vor 1125 gebo­ren, er starb 1176. Jacza heira­tete 1145 in eine einfluss­rei­che polni­sche Fami­lie, nahm 1162 an einem Kreuz­zug teil, stif­tete ein Prämon­stra­ten­ser-Frau­en­klo­ster nörd­lich von Krakau mit einem Grab­ge­lege. Von Bekeh­rung und Chri­stia­ni­sie­rung kann hier wirk­lich keine Rede sein.

Er lebte auf der jetzt Schloss­in­sel genann­ten Dahme-Insel kurz vor dem Zusam­men­fluss mit der Spree. Auf ihr stand eine mehr­fach zerstörte und wieder aufge­baute Slawen­burg. In der ersten Hälfte des 12. Jahr­hun­derts war sie ein Mach­zen­trum der Spre­wa­nen (s. 1. Fußnote) bis zum 11. Juni 1157, als Jacza endgül­tig von Albrecht den Bären geschla­gen wurde.

Es ging um etwas ande­res, um die Vorherr­schaft zwischen Elbe und Oder, auch nicht über die Slawen. Albrecht bedurfte für seinen Sieg eines Bünd­nis­ge­nos­sen, den er bei den mit Jacza konkur­rie­ren­den slawi­schen Hevel­lern fand. Dieser Sieg wird von vielen Histo­ri­kern als die Geburts­stunde Bran­den­burgs gese­hen. Dies war dann später Zentrum Preu­ßens, dem Grün­dungs­staat des neuzeit­li­chen Kaiser­reichs.

Mit dem aufkom­men­den Natio­nal­be­wusst­sein im 19. Jh. bedurfte es einer Grün­dungs­le­gende. Die Wahr­heit, Land­nahme von den Slawen, die die deut­sche Urbe­völ­ke­rung bilde­ten und dort ein halbes Jahr­tau­send gelebt hatten, war dann doch nicht fein­sin­nig genug.

Jasca von Köpe­nick zog sich nach Köpe­nick zurück. Die Spree­fur­ten waren mili­tär­stra­te­gisch und handels­po­li­tisch von großer Bedeu­tung.

Die Einnahme Köpe­nicks durch die bran­den­bur­gi­schen Mark­gra­fen Johann I. und Otto III. läute­ten dann den Nieder­gang Köpe­nicks und den Aufstieg Berlins und Cöllns Mitte der 1230-er Jahre ein.

Als Schü­ler habe ich die Wander­tage zum Schild­horn­denk­mal und das Getue darum gehasst, aber ich hatte keine Ahnung von den wirk­li­chen Zusam­men­hän­gen. Es sind drei Dinge, die mir später deut­lich wurden und mich zuneh­mend bewe­gen:

• Die deutsch­tü­melnde Schön­fär­be­rei unse­rer Geschichte. Das ist ja nicht nur Mysti­fi­zie­rung der Vergan­gen­heit, sondern vor allem der Hang bei der Bildung unse­rer Nation und deren Selbst­ver­ständ­nis sich einen Heili­gen­schein zu setzen, den der Chri­stia­ni­sie­rung.
• Die immer wieder­keh­rende anti­sla­wi­sche Haltung und die damit verbun­dene exklu­die­rende, den ande­ren ausschlie­ßende Vorstel­lung. Das ist die dunkle Seite der Erfin­dung der Natio­nen, die mit einer Herab­stu­fung ande­rer Natio­nen verbun­den war.
• Anfang dieses Jahr­hun­derts gab es eine rich­tige Restau­ra­tion, das Denk­mal wurde umfas­send reno­viert, darum stehende Bäume wurden aus denk­mal­schüt­zen­den Grün­den entge­gen den Wald­bau­richt­li­nien und der FSC/­Na­tur­land-Zerti­fi­zie­rung geschla­gen (s. 2. Fußnote) und die Presse war voller Jacza-Saga. In Darstel­lun­gen und auf Infor­ma­ti­ons­ta­feln wird all dies bis heute gepflegt. Das ist eine Geschichts­my­tho­lo­gie, die im 21. Jahr­hun­dert ganz und gar unan­ge­mes­sen ist.

Ein Beispiel für die Mysti­fi­zie­rung der Vergan­gen­heit und für ein verlo­ge­nes Eigen­lob

Emil Wanek schreibt in “Buch­ners Kolleg Geschichte” (2004, 2. Aufl.) für Gymnasialschüler/innen über die hier refe­rierte Zeit: “Gemäß dem Verständ­nis ihrer Zeit bestand die nach Osten gerich­tete Poli­tik der Otto­nen aus mili­tä­ri­scher Expan­sion und syste­ma­ti­scher Missio­nie­rung. Ausge­hend von dem neuen Erzbis­tum Magde­burg wurden die Slawen für den christ­li­chen Glau­ben gewon­nen … Zugleich sollte damit die Ober­ho­heit des Kaisers östlich der Elbe zur Aner­ken­nung gebracht werden … Ermun­tert durch die über­zo­gene Itali­en­po­li­tik Ottos III. (des Kaisers, nicht des aska­ni­sche Mark­gra­fen), lehn­ten sich heid­ni­sche Slawen 983 gegen die entste­hende deut­sche Herr­schaft auf. Einige Grenz­mar­ken östlich von Elbe und Saale gingen für fast zwei Jahr­hun­derte verlo­ren.”

Von welchem “Verständ­nis ihrer Zeit” ist hier die Rede, das der seit 300 Jahren dort wohnen­den Slawen oder das der deut­schen Erobe­rer? Wie wurden die Slawen für das Chri­sten­tum gewon­nen und getauft, mit Wasser oder Blut? Und dann ging das Land “für fast zwei Jahr­hun­derte verlo­ren”, wirk­lich? Die orts­an­säs­sige Bevöl­ke­rung hatte es noch einmal für zwei Jahr­hun­derte zurück­ge­won­nen, bevor sie dessen endgül­tig beraubt wurden!

Nur mal zum Vergleich: Die Slawen lebten bis zu ihrer endgül­ti­gen Vertrei­bung oder Unter­drückung ein halbes Jahr­tau­send zwischen Elbe und Oder. Die große Zeit des König­reichs Preu­ßens dauerte von 1701 bis 1806 gerade mal 105 Jahre und das Kaiser­reich ganze 47 Jahre von 1871 bis 1919.

Wenn US-Ameri­ka­ner von Indi­ans und nicht von Native Ameri­cans spre­chen, dann regt sich der weiße Deut­sche, der Bildungs­bür­ger, über den darin enthal­te­nen Rassis­mus auf, der nicht die histo­ri­sche Rolle der Native Ameri­cans sieht. Bei Slawen ist das anders — das finde ich schein­hei­lig, ein verlo­ge­nes Eigen­lob.

Anmer­kun­gen:

  1. Hevel­ler und Spre­wa­nen waren zu den Wilzen gehö­rende Slawen. Diese waren ein west­sla­wi­scher Verband von Stäm­men, die keinen Staat bilde­ten, sondern von einem Groß­für­sten gelenkt wurden. Jacza war ein Spre­wane.
  2. Die Bäume am Jacza-Denk­mal auf Schild­horn wurden geschla­gen, um eine Sicht­achse wieder frei zu legen. Doch wohin sollte die weisen? Zum Start­punkt der Flucht auf der Span­dauer Seite, auf der das korre­spon­die­rende Denk­mal steht, natür­lich.
    Dies ist jedoch verges­sen und zuge­wach­sen, in einem zuge­wach­se­nen Park steht ein Turm mit der Darstel­lung der Flucht, aber das weiß kaum noch jemand und so verlor man aus den Augen, das gesamte Ensem­ble zu restau­rie­ren, das Pendant in Span­dau bleibt von der Havel aus gese­hen unsicht­bar. Schild­horn oder Schild­burg? Wegbe­schrei­bung zu dem verges­se­nen Denk­mal.
    Worum es sich bei diesem Denk­mal wirk­lich handelt, ist umstrit­ten und zusam­men­fas­send von Uwe Gerber darge­stellt.