
Warthebruch: Kostrzyn nad Odrą (Küstrin) — Witnica — Słońsk
Bevor ich anfange, erst einmal eine grammatikalische Anfrage an den Duden: der oder das Bruch?
der und das; -[e]s, Plural Brüche, landschaftlich Brücher (Sumpfland), Morast, Sumpf, (norddeutsch): Fehn; (besonders norddeutsch): Fenn; (süddeutsch, österreichisch, schweizerisch): Moos.
Ich entscheide mich für „das“, weil die dort lebenden Feen meist weiblich sind und das generische Maskulinum eh ein Problem ist.
Die Warthe fließt im Thorn-Eberwalder Urstromtal und ist 800 km lang. Auf den letzten 70 km erstreckt sich das Warthebruch bis zum Zufluss der Notec (Netze) bei Santok, es hat eine Fläche von nahezu 32.000 ha und ist damit halb so groß wie das Oderbruch. Das Bruch ist bis zu 12 km breit, nördlich der Warthe eingedeicht und südlich mit großen Überschwemmungsgebieten im Bereich der Schutzzone Słońsk, in denen der Wasserstand um bis zu 4 m schwankt. Im Warthebruch konnte die Trockenlegung nicht so vollständig erfolgen wie im Oderbruch. Im westlichen Ende liegt der 2001
begründete 8.000 ha große Nationalpark Warthemündung.
Außer einem kleinen linksseitig der Oder liegendem Teil erhielt Polen die Neumark. Auf dieser Tour traf ich neben einer bezaubernden Natur immer wieder auf historische Zeugnisse der unterschiedlichsten Epochen.
Die Fahrradtour hat eine Länge von 78 km und ihr Verlauf ist auf dem Routenplaner komoot aufgezeichnet, der kostenfrei genutzt werden kann. Die Tour ist innerhalb eines Tages zu schaffen. Will ich mir aber einiges genauer ansehen, dann plane ich eine Übernachtung in Witnica.
Ich fahre im Uhrzeigersinn, um den wirklich sehr schönen Beginn ohne Zeitdruck genießen zu können, die Kilometerangaben beziehen sich auf diese Wegrichtung.
Nach 63 km beginnt eine 10 km lange Strecke auf einer sehr stark befahrenen Straße, auf der man unbedingt hintereinander, dicht und mit Lichtzeichen radeln sollte. Wenn es irgend möglich ist, sollte man diesen Teil am Wochenende absolvieren – es gibt leider keine Alternative (die Verkehrspolitik der Woiwodschaft ist wirklich saumselig und für die Regionalentwicklung gäbe es hinreichend Geld in Brüssel).
Den Streckenverlauf habe ich auf komoot bereitgestellt.
Wenn ich Kostrzyn verlasse und zur Warthe radele, komme ich nach 1,2 km zu der sehr ungewöhnlichen „Der Heiligen Mutter Kirche“. Durch die Glastür konnte ich hineinschauen und war beeindruckt über den nahezu ebenerdigen Bau ohne erhöhte Kanzel.
Nach 2 weiteren Kilometern erreiche ich die Pumpstation Warniki und muss das versperrte Tor durch eine seitlich im Zaun angebrachte Tür umgehen. Ich radele dabei über den Kanał Maszówek, der aber eigentlich die ursprüngliche Warthe gewesen ist.
Nunmehr fahre ich zwischen der ursprünglichen und der neuen “Schnellenwarthe” auf dem Deich. Nach 19 km, auf der Höhe von Kamień Mały (Wilhemsbruch), war die Spaltung in Alte und Neue Warthe. Flussaufwärts davon ist der ursprüngliche geschlängelte Lauf der Warthe erhalten geblieben und gut zu erkennen. Im Laufe der Jahre habe ich es immer wieder erlebt, wie sich die Flussaue hier verändert.
Nach weiteren 6 km machte ich einen 3 km langen Abstecher nach Dąbroszyn (Tamsel), dessen Schloss eine bemerkenswerte Geschichte aufweist.
Auf Strecke zwischen Dąbroszyn und Kamień Mały radelt man, wenn man darauf achtet, an drei aufgelassenen Ortschaften vorbei, nur Steine und eine Infotafel zeugen noch davon: Charlestown, New York und Yorkstown, deren nördlich gelegener Bahnhof Klein-Amerika hieß, Spuren der Besiedelung des Warthebruchs nach seiner Trockenlegung.
Dann habe ich in Witnica den östlichsten Punkt der Tour erreicht. Im Wegweiserpark begegne ich der deutsch-polnischen Geschichte in einer Weise, wie ich es nur von dem 2017 noch nicht von der PiS-Regierung entstellten “Museum des Zweiten Weltkriegs” kennenlernte.
Nunmehr setze ich mit der Gierfähre nach Kłopotowo über. Der weitere Weg geht entlang von Altarmen und Entwässerungsgräben und ist bei großer Feuchtigkeit oder Trockenheit gleichermaßen schwierig. Leichter ist der Weg über die Felder, Budzigniew (Hampshire) und Jamno (Jamaika), wo ich auch manchmal weitaus mehr Kraniche sah als im Schutzgebiet – der Mais lockt.
Nach 51 km besteht die Möglichkeit in Przyborów rechts abzubiegen und auf einer Sackgasse weit in den Nationalpark Warthemündung hineinzufahren.
Dann kommt Słonsk, Gründungsort und Stammsitz der Johanniter.
Leider ist das auch der Ort eines der ersten KZs in einem ehemaligen Gefängnis. Auf der 3. Lutego (Straße Nr. 22) biege ich in Richtung Gorzów Wielkopolski (Landsberg) ein, nach 1 km erreiche ich das „Muzeum Martyrologii w Słonsku“. An diesem Ort wurde der Nobelpreisträger Carl von Ossietzky zusammen mit anderen oppositionellen Politiker(inne)n zunächst gefangen gehalten. Das Museum ist nur nach Anmeldung zugänglich: muzeum@slonsk.pl, +48 798 602211.
Das letzte Stück nach Kostrzyn nad Odrą hat es in doppelter Weise in sich: Es ist die für Radler übelste Strecke, die ich in Polen kennen gelernt habe, obgleich das neben der Straße liegen gebliebene Schienenbett der nach Norden verlegten Eisenbahn einen sicheren Fuß- und Fahrradweg nahezu anbietet.
Mein TIPP: möglichst nur am Wochenende fahren, wenn weniger Laster unterwegs sind (es gibt keine Alternative).
Andererseits führt die gesamte Strecke an dem Nationalpark Warthemündung entlang. Nach 66 km und 72 km stehen Aussichtstürme mit einem wunderbaren Überblick. Und einen Einblick kann man auch gewinnen. Über ein halbes Dutzend Brücken über den begrenzenden Kanal erlauben, von der Straße abzuweichen und ein deutliches Stück in den Schilfgürtel zu gehen.
VORSICHT: nicht vom Weg abweichen!
Zuletzt radelt man an der Festung Küstrin vorbei und, wer sie nicht kennt, sollte sie unbedingt betreten.
Der letzte Weg geht zum Bahnhof und, sollte man auf den Zug warten müssen, empfehle ich den Imbiss am Bahnhof mit wunderbaren Würsten und Pierogi – wir sind schließlich in Polen.
Die nächsten Touren:
Anstehende Veranstaltungen
Wer über geplante Touren informiert werden möchte, melde sich bitte bei info(at)unerwartet.org an. Die Anschriften werden nicht weitergereicht und es erfolgen ausschließlich Informationen über geplante Fahrradtouren.
Schlagwörter:
Viel von dem hier Berichteten wird detaillierter in der GAZETA Warta | PERSPEKTIVEN EINER (GRENZ)REGION dargestellt.
Mit dem provakanten Aufmacher “Gibt es ein polnisches Oderbruch?” beginnt diese Projektzeitung. Sie wurde in der Zeit vom 27.–30. September 2020 im Rahmen einer Sommerschule des Oderbruch Museums Altranft, der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde und der Fachhochschule Potsdam in Słońsk (Polen) erarbeitet.