Trocken­le­gung des Oder­bruchs

Der Versuch, Natur zu fesseln, bewirkt entfes­selte Natur

Das Oder­bruch ist eine Talaue, ein feuch­ter Wiesen­grund, der betre­ten und bewei­det werden kann. Es erstreckt sich über 73 km von Reit­wein (nördl. von Lebus) bis nach Hohen­saa­ten und ist bis zu 20 km breit. Südlich der Linie Altfried­land-Letschin-Kienitz liegt das Oberoder­bruch, das höher liegt als fluss­ab­wärts das Niederoder­bruch und deshalb auch anders genutzt wurde. Es konnte bereits vor dem 17. Jahr­hun­dert als Grün­land genutzt werden, wurde jedoch in Folge des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges stark zerstört.

Das Oder­bruch ist ein Urstrom­tal und wurde auf Grund des gerin­gen Gefäl­les von vielen Armen der Oder durch­flos­sen, die mäan­der­ten und sich oft spal­te­ten. So ist es ein großes Rück­hal­te­becken für die durch die Schmelze beding­ten Früh­jahrs- und die von Regen­fäl­len ausge­lö­sten Sommer­hoch­was­ser. Mit dem Hoch­was­ser wurden Sedi­mente frucht­ba­rer Böden einge­tra­gen und hier ist auch die größte Boden­frucht­bar­keit Bran­den­burgs.

Fried­rich Wilhelm I. entwäs­serte bereits 1718 bis 1724 das Havel­län­di­sche Luch. 1728 voll­zog er einen wich­ti­gen Para­dig­men­wech­sel, er verbot in einem Dekret die Verwen­dung des Begriffs “Große Wild­nis”, weil er keine Wild­nis erkannt haben wollte. Bisher galt Wild­nis für die Adli­gen  als etwas Posi­ti­ves, in der man erfolg­reich jagte. Nun erhielt die Land­schaft das Leit­bild der Produk­ti­vi­tät, die es zu mehren galt. 

Die Poli­tik der Auswei­tung land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­chen setzte er 1739 mit dem Bau von Sommer­dei­chen im Oberoder­bruch fort. Der Fluss lag höher und war leich­ter zu kontrol­lie­ren als im nörd­li­chen Niederoder­bruch. Die Verwü­stun­gen des 30-jähri­gen Krie­ges hatten zu vielen Verlu­sten, über die Hälfte der Bevöl­ke­rung verstarb im Krieg oder an den Kriegs­fol­gen, und zu Verlu­sten ehedem gewon­ne­ner Flächen geführt.

Fried­rich-Wilhelm I. hatte ande­rer­seits das Heer mäch­tig vergrö­ßert und benö­tigte Wiesen­flä­chen zur Versor­gung der Kaval­le­rie. So ließ er einen durch­ge­hen­den Deich von Zellin, nahe Kienitz, bis Lebus bauen und zwar einen Winter­deich, der nicht wie die Sommer­dei­che im Winter über­spült wurde. Nach einem Jahr verstarb er, seinem Sohn Fried­rich II. (der Große) hatte er diese Aufgabe zuge­dacht, das Oder­bruch zu kolo­ni­sie­ren, eine Aufgabe, der er sich mit großem Erfolg ab 1740 widmete. 

Am Beginn des Bruchs hat die Oder eine Höhe von 14 m über NHN und am Ende bei Hohen­saa­ten nur noch von 2 m über NHN hat. Der Abfluss der Oder ist daher im Niederoder­bruch sehr lang­sam und bei Hoch­was­ser über­flu­tet sie Wasser stau­end die Talauen, denn das Gefälle ist gleich 0,  bis zur Ostsee sind es noch 140 km, auf denen die Oder ledig­lich 2 m Höhen­un­ter­schied hat

Der hollän­di­sche Wasser­bau­in­ge­nieur von Haer­lem wurde deshalb mit der Planung für eine Trocken­le­gung des Niederoder­bruchs beauf­tragt. Vier Ziele wurden dabei verfolgt:
1. Trocken­le­gung und Gewin­nung von Ackerfläche.
2. Gründung von Kolo­ni­sten­sied­lun­gen.
3. Schutz vor Hoch­was­ser.
4. Verbes­se­rung des Schiff­ver­kehrs auf der Oder.

Bei Güste­biese wurde der Lauf der Oder verkürzt und sie wurde in ein neu gebau­tes Bett geführt, das direkt nach Hohen­saa­ten führt, 25 km kürzer, schnel­le­rer Schiffs­ver­kehr, größe­res Gefälle und schnel­le­rer Wasser­ab­fluss, dies ist auf der alten Karte auf der Start­seite links gezeich­net. Der Plan sah vor:

  1. Der Bau eines neuen Fluss­betts von Güste­biese nach Hohen­saa­ten, zum schnel­le­ren Abfluss des Oder­was­sers. Mit 20 km Länge war er 24 km kürzer als der ursprüng­li­che Verlauf über Wrie­zen und Frei­en­walde und hatte somit ein stär­ke­res Gefälle.
  2. Die beid­sei­tige Einfas­sung der Oder mit kräf­ti­gen Winter­dei­chen.
  3. Das Binnen­was­ser zu sammeln und abzu­füh­ren, wozu man das ursprüng­li­che Fluss­bett nutzt, nun Alte und Stille Oder genannt.

Die geplante Trocken­le­gung des Oder­bruchs ist Bestand­teil und Zentrum der fride­ri­zia­ni­schen Kolo­ni­sie­run­gen zur Stär­kung des Staa­tes, so auch im Wart­he­bruch und in Ostpreu­ßen. Natur­nahe Räume wurden in Kultur genom­men, die land­wirt­schaft­li­chen Erträge und damit die Steu­er­ein­nah­men gesteig­tert  sowie auslän­di­sche Arbeits­kräfte ange­sie­delt. Die Trocken­le­gung des Oder­bruchs fand viel­fach Kritik.

Alte und neue Oder

1747 wurde mit den Arbei­ten begon­nen und stän­dig 1.000 Arbeits­kräfte einge­setzt. Die entschei­dende Idee war, einen Teil der Pommer­schen Endmo­räne, die Neuen­ha­ge­ner Land­zunge am Krum­men Ort bei Hohen­wut­zen, zu durch­bre­chen und für das neue von Güste­biese kommende Fluss­bett frei­zu­le­gen.

Aus der Neuen­ha­ge­ner Land­zunge wurde damit die Neuen­ha­ge­ner Insel. 1752 wurden die Kanal­bau­ar­bei­ten bei Liet­ze­gö­ricke und Zäcke­rick been­det und schluss­end­lich 1753 bei Güste­biese das neue Fluss­bett geöff­net.

Gleich nach dem Ende der Baumaß­nah­men begann die Besied­lung des trocken­ge­leg­ten Landes. Die neuen Orte wurden als Stra­ßen­dör­fer ange­legt und es soll­ten schlichte Bauten sein, „keine Palä­ste“, wie es der König zu sagen pflegte; diese Dörfer wurden von Büro­kra­ten geplant und waren nicht, entge­gen der Behaup­tung Fonta­nes, von lands­mann­s­cahft­lich Kolo­ni­sten­wil­len geprägt. In jedem Ort sollte eine für das Oder­bruch typi­sche Kombi­na­tion eines Schul- und Gebet­hau­ses stehen, wie z. B. in Wusche­wier zu sehen ist.

Die neuen Orte erhiel­ten oft mit der Vorsilbe “Neu“ den Namen in der Nähe bestehen­der Orte. Das erste neuge­grün­dete Ort hieß Neuliet­ze­gö­ricke nach dem rechts­sei­tig liegen­dem Liet­ze­gö­ricke (Stare Łyso­górki, Alt Liet­ze­gö­ricke). Manche fran­zö­si­sche Emigran­ten zogen von der Schweiz weiter zu den neuen Oder­bruch­dör­fern, die Namen Beau­re­gard und Vevais ezugen davon.

1763 wurden die Arbei­ten been­det, es waren 32.500 ha Acker­land gewon­nen worden. Mit der Besied­lung des Oder­bruchs wurden 33 neue Bauern­dör­fer und 7 Spin­ner­sied­lun­gen gegrün­det, in denen 1.134 Bauern- und 363 Spin­ner­fa­mi­lien mit etwa 7.000 Perso­nen ange­wor­ben, ange­sie­delt und mit Rech­ten ausge­stat­tet wurden, die in der fran­zö­si­schen Revo­lu­tion von 1789 erst blutig erkämpft werden muss­ten.

Dies war eine sozial und ökono­misch erheb­li­che Priveli­gie­rung gegen­über den heimi­schen, slawi­schen 4.200 Anwohner(inne)n. Die orts­an­säs­si­gen Fami­lien muss­ten sich mit Spann- und Herbergs­dien­sten an den Baumaß­nah­men betei­li­gen, was ihnen zusätz­li­che Kosten verur­sachte. Der Wider­stand der heimi­schen Slawen war erheb­lich, zumal ihre bishe­rige Lebens­weise damit zerstört wurde.

Die Kolo­ni­sten ließen sich aus der Pfalz, Sach­sen, Würt­tem­berg, Hessen-Darm­stadt und Meck­len­burg sowie aus Polen, Böhmen, Öster­reich und dem Schwei­zer Kanton Neuen­burg anwer­ben: Jede Fami­lie erhielt Land, je nach Fami­li­en­größe zwischen 10 und 90 Morgen, die Reli­gi­ons­aus­übung war frei, Predi­ger und Kirchen bezahlte der König, in jedem Dorf gab es eine kosten­lose Schule, alle Neusied­ler erhiel­ten 15 Jahre Steu­er­frei­heit, sie, ihre Kinder und Kindes­kin­der wurden vom Mili­tär­dienst befreit. Für die Kolo­ni­sten hat sich das Unter­fan­gen dennoch wohl erst später gelohnt. Es hieß damals: „Die erste Gene­ra­tion arbei­tet sich tot, die zweite leidet Not, die dritte findet ihr Brot.“

Das Oder­bruch gehörte zur Hälfte dem König, zu. weite­ren 40% dem Adel und die rest­li­chen 10% den Städ­ten Oder­berg, Wrie­zen und Frei­en­walde. Der Adel scheute die Kosten, insbes. Karl Fried­rich Albrecht, Mark­graf zu Bran­den­burg-Schwedt. Der König wollte angeb­lich selbst eine Million Taler zahlen, der Gedfluss ist nicht nach­ge­wie­sen wordn und die Gesamt­ko­sten waren wohl nied­ri­ger. Der König betei­ligte sich höchstens mit einem Drit­tel der Gesamt­ko­sten. Die Kosten der Trocken­le­gung betru­gen höch­stens 28 Taler/ha, alles zusam­men also aller­höch­stens 910.000 Taler.

Karl Fried­rich Albrecht, Mark­graf zu Bran­den­burg-Schwedt

Karl Fried­rich Albrecht, Mark­graf zu Bran­den­burg-Schwedt

Karl Fried­rich Albrecht, Mark­graf zu Bran­den­burg-Schwedt

Karl Fried­rich Albrecht, Mark­graf zu Bran­den­burg-Schwedt

Ein paar Vergleichs­grö­ßen: Ein Tage­löh­ner verdiente 50, ein Manu­fak­tur­ar­bei­ter 100, ein Offi­zier 1.000 und ein adli­ger Grund­be­sit­zer 10.000 Taler im Jahr. Die Kosten für die Wasser­spiele in Sans­souci, die während der Zeit Fried­rich des Großen ganze 30 Minu­ten liefen, betru­gen 394.000 Taler. Der Sieben­jäh­rige Krieg kostete der Staats­kasse Preu­ßens nahezu 170 Mio. Taler und den Tod von 400.000 Menschen. Die Bilanz, Fried­rich II habe über 1.000 Dörfer gegrün­det und 300.000 Menschen eine neue Heimat gege­ben, sieht in diesem Licht doch ganz anders aus. Es ging um staat­li­che Macht und wirt­schaft­li­che Einnah­men, nicht um einen aufge­klär­ten Abso­lu­tis­mus in der Zeit des Merkan­ti­lis­mus und, sieht man die Geschichte aus der Perspek­tive von unten, ging es wohl eher um Größen­wahn und Ausbeu­tung.

Der Auwald wurd bei der Trocken­le­gung abge­holzt und viele Klein­ge­wäs­ser trocken gelegt. Das Wasser wurde in einem riesi­gen Graben­sy­stem umge­lei­tet und schnell weg geführt. Das wirkte sich aus. 1733 gab es 37, 1766 nur noch 24, 1827 13 und bei der Auflö­sung. 1866 schließ­lich nur noch 7 Mitglie­der der Hech­t­rei­ßer-Innung.

Die Kolo­ni­sten­häu­ser wurden zuneh­mend über­be­legt. Dies war eine Folge des ursprüng­li­chen Aufschwungs, die mit den Vergün­sti­gun­gen von Fried­rich II. ihren Anfang nahm. Nach dem Aufschwung setzte eine rasch anwach­sende Land­ar­mut ein. Die Folge daraus war eine Auswan­de­rungs­flut in der Mitte des 19. Jahr­hun­derts. Von den 470 Einwoh­nern Wusche­wiers wander­ten 80 nach Amerika aus. Eine Ironie der früh­ka­pi­ta­li­sti­schen Kolo­ni­sa­ti­ons­ge­schichte des Oder­bruchs.

Die Kolo­ni­sa­tion war bestimmt durch den Fort­schritts­glau­ben, den Ratio­na­lis­mus der Aufklä­rung, derar­ti­ges erfolgte allent­hal­ben in Deutsch­land. Das gilt auch für die damals gemach­ten Fehler, die auch heute noch üblich sind. Die Mach­bar­keits­stu­die für das Oder­bruch von von Haer­lem und von dem Mathe­ma­ti­ker Euler geprüft berück­sich­tigte keine Kosten­stei­ge­run­gen und veran­schlagte umge­hende Pacht­ein­nah­men und die Kosten für den Kanal­bau wurden nicht hinein­ge­rech­net. Schlim­mer aber sind die bis heute dauern­den Folge­ko­sten:

Bereits 1770 und 1780 muss­sten die Deiche erhöht werden, 1783 stan­den alle neuge­grün­de­ten Dörfer und 65 Sied­lun­gen 1785 unter Wasser. Die zum Abpum­pen darauf­hin instal­lier­ten hollän­di­schen Wind­schöpf­müh­len zerfie­len während der napo­leo­ni­schen Zeit. 1838 brach der Damm in Alt Liet­ze­gö­ricke, heute Stare Łyso­górki, und nach den 5 Jahre später erfolg­ten Hoch­was­ser­kala­mi­tä­ten begann man 1848, den Rück­stau­punkt fluss­ab­wärts zu verle­gen, und auf Grund der anhal­ten­den Vern­äs­sung 1880 mit der Polder­wirt­schaft. Während der Weima­rer Repu­blik wurden über 200 km Gräben gelegt und 1940 stan­den nach Deich­brü­chen riesige Areale unter Wass­ser. Über 20.000 Menschen wurden beim winter­li­chen Hoch­was­ser 1947 obdach­los, obgleich mit aus dem Flug­zeug gewor­fe­nen Bomben das Eis bekämpft wurde. (Die meisten Daten basie­ren auf Bernd Herr­mann: Die fride­ri­zia­ni­sche Melio­ra­tion des Oder­bruchs, in: Schau­plätze der Umwelt­ge­schichte, 2008).

Pünkt­lich zur 250-Jahr-Feier der Trocken­le­gung war 1997 das Jahr­tau­send­hoch­was­ser, bei dem im Oder­bruch keine Dämme brachen, weil diese bereits strom­auf­wärts südlich von Frank­furt gebro­chen waren. Von den verspro­che­nen Ände­run­gen des Fluss­ma­nage­ments blie­ben nur die Erin­ne­run­gen an die Verspre­chen. Das grund­säth­li­che Problem bleibt: In den natür­li­chen Ökosy­ste­men der Auen ist die Dyna­mik des Wassers von grund­sätz­li­cher Bedeu­tung, ja sinn­ge­bend. Wird die Aue besie­delt, ist sie die stän­dige Gefah­ren­quelle für die dort leben­den Menschen und deren Lebens­grund­lage.

So resu­miert Hans-Rudolf Bork in der “Umwelt­ge­schichte Deutsch­lands”: “Der Versuch, Natur zu fesseln, bewirkt entfes­selte Natur.”

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Faust:
Die Erde mit sich selbst versöh­net,
den Wellen ihre Grenze setzt,
das Meer mit stren­gem Band umzieht.

Mephi­sto:
Du bist doch nur für uns bemüht
mit deinen Dämmen, deinen Buhnen;
denn du berei­test schon Neptu­nen,
dem Wasser­teu­fel, großen Schmaus.
In jeder Art seid ihr verlo­ren; –
die Elemente sind mit uns verschwo­ren,
und auf Vernich­tung läufts hinaus.
(Goethe, Faust II).