Kritik der Trockenlegung des Oderbruchs
Brücher nannten sich früher die Menschen im Oderbruch. Seit der Besiedlung Brandenburgs ist auch das Oderbruch ununterbrochen bewohnt. Im 7. Jahrhundert sind mit Oderberg und Altwriezen bereits Ortschaften urkundlich belegt.
Überflutungen, Stürme und Eisbruch ließen nicht viele Menschen im Oderbruch leben. Hochwasser und wiederholt Brände zerstörten die Ansiedlungen, so steht kein Haus mehr aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg. Im Oderbruch lebten vorwiegend Slawen und es wurde deren Sprache gepflegt und ebenso die slawische Mystik, auch wenn die Brücher getauft waren. Derartige Mischungen sind ja aus vielen Ländern der Erde bekannt, z.B. Vodoo.
Die Slawen errichteten ihre Häuser dem Kietz, oft höher gelegen. Sie umgaben diese vorsorglich mit Wällen aus Dung. Vor der Trockenlegung Mitte des 18. Jahrhunderts lebten in 11 Dörfern 197 Fischerfamilien im nördlichen Teil des Oderbruchs. Die Erträge waren beträchtlich, so berichtet der Geograph Henrich Berghaus: „und mancher Fischknecht kaufte um Johanni, wenn das Wasser sich verlaufen hatte, 10 bis 20 Ochsen und trieb sie als Mastvieh gegen Weihnachten nach Berlin.“ Preußens Exportschlager waren die Früchte des Morasts. Daneben wurde in kleinem Maß auch Viehzucht betrieben.
Bei der Trockenlegung des Oderbruchs wurde die Bauweise der Dörfer vom Rundling zum Straßendorf gewechselt. Dies ist sehr gut im Vergleich der dicht beieinander liegenden Dörfer Altwriezen aus der slawischen Zeit und dem ersten Kolonistendorf Neulietzegöricke zu sehen.

Die Kolonisten durften die ihnen zugewiesenen Hofstellen nicht verkaufen. Diese blieben im Familienbesitz und so dürften viele der heutigen Menschen des Oderbruchs Nachfahren der früheren Kolonisten sein.
Bei den meist slawischen Fischern des Oderbruchs machte sich Friedrich II. keine großen Freunde. Sie durchstachen die neu angelegten Deiche und schrieben etliche Beschwerden, da sie zu Recht um ihre Existenz fürchteten. Der leitende Wasserbauingenieur von Haerlem entgegnete ihnen, „dass auf solchen Fleck, wo jetzt einige Fische ihre Nahrung haben, künftig eine Kuh erhalten werden kann“.
Es gab heftige Prügeleien mit den Soldaten und mancher Offizier bat den König, doch nach Berlin zurück versetzt zu werden. Friedrich II. sagte: „Ich habe eine neue Provinz gewonnen ohne Krieg.“ Fontane berichtet dagegen, dass die Menschen von einem „siebenjährigem Krieg im Stillen“ sprachen.
Die Slawen waren nicht die einzigen Kritiker. Auch im deutschen Adel gab es Widerspruch. An den Kosten der Trockenlegung sollten die Nutznießer der Trockenlegung beteiligt werden. Aber zum einen zweifelten sie den Nutzen an und zum anderen waren sie nicht liquid.
Das gilt ganz besonders für den Neffen Friedrichs II., den Markgrafen Carl von Brandenburg-Schwedt. Dieser war Herrenmeister des in Slonsk (Sonnenburg) an der Warthe residierenden Johanniter-Ordens, der turmhohe Schulden bei den Maltesern hatte. Aber Friedrich war ihm auch auf Grund seiner Tapferkeit im 1. Schlesischen Krieg verbunden.
So forderte Friedrich II. – ganz wie in der Moderne – ein wissenschaftliches Gutachten an und beauftragte damit den damals berühmten Schweizer Mathematiker Leonhard Euler aus St. Petersburg. Dieser war von der Planung von Haerlems überzeugt.
Ein weiterer und in diesem Zusammenhang meist unberücksichtigt bleibender Gesichtspunkt ist der des freien Bauernstandes. Die angesiedelten Kolonisten erhielten Hilfe und wurden keinem Lehnsherrn unterstellt, sie waren freie Bauern; genau das, was Albrecht Thaer für eine fortschrittliche rationelle Landwirtschaft forderte.
Man kann sich das vielleicht heute nicht mehr vorstellen, aber mit der Entlassung aus der Leibeigenschaft waren viele Bauern nicht einverstanden. Dies war eher eine Forderung der Intellektuellen und Ökonomen, ein Ergebnis der Aufklärung. In jedem Fall war dies aber auch ein Grund für den Adel diesem Projekt der Peuplierung entgegenzutreten.